Anforderungen an klinischen Daten in Nordamerika
In diesem Beitrag werfen wir einen Blick über den europäischen Tellerrand hinaus: von der FDA in den USA über die TGA in Australien bis hin zu weniger bekannten, aber spannenden Regulierungsbehörden. Wussten Sie zum Beispiel, dass manche Behörden lokale klinische Studien verlangen, selbst wenn bereits umfangreiche klinische Studien aus anderen Ländern vorliegen?
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Nordamerika
Beginnen wir mit dem größten Absatzmarkt für Medizinprodukte: Nordamerika. Die wohl bekannteste Regulierungsbehörde der Welt ist die U.S. Food and Drug Administration (FDA) der USA. Je nach Risikoklassifizierung und Zulassungsart müssen unterschiedliche klinische Daten vorgelegt werden.
Grundsätzlich gibt es drei Antragsverfahren für die Zulassung medizinischer Produkte:
1. Premarket Notification (510(k))
2. Premarket Approval (PMA)
3. De Novo
Die Wahl der geeigneten Zulassungsstrategie hängt unter anderem von der Risikoklasse des Produkts ab.
Das 510(k)-Verfahren, auch Premarket Notification genannt, kommt hauptsächlich für Medizinprodukte der Klassen I und II (geringes bis mittleres Risiko) zum Einsatz. Hersteller müssen nachweisen, dass ihr Produkt einem bereits legal vermarkteten Gerät wesentlich gleichwertig (substantially equivalent) ist. Dieses Verfahren ist weniger aufwendig als das PMA und erfordert in der Regel keine umfassenden klinischen Studien.
Produkte der Klasse III, die das höchste Risiko bergen, benötigen hingegen in der Regel eine Premarket Approval (PMA). Hierbei müssen Hersteller valide Nachweise erbringen, dass das Produkt sicher und wirksam ist. Dafür sind sowohl umfangreiche nicht-klinische als auch klinische Daten erforderlich.
„Due to the level of risk associated with Class III devices, FDA has determined that general and special controls alone are insufficient to assure the safety and effectiveness of Class III devices. Therefore, these devices require a premarket approval (PMA) application […]“ fda.gov, Premarket Approval (PMA)
Falls es für Produkte der Klasse I oder II kein vergleichbares Produkt gibt, kann die De Novo Einstufung zutreffen. Hier sind klinische Daten nur unter Umständen nötig.
Sonderformen der Zulassungsanträge sind die Investigational Device Exemption (IDE) und die Humanitarian Device Exemption (HDE). Die IDE gewährt lediglich die Erlaubnis, ein Produkt in den USA für eine klinische Prüfung zu verwenden. Die Humanitarian Device Exemption (HDE) ist eine spezielle Genehmigung zur Vermarktung von medizinischen Geräten, die für die Behandlung von seltenen Krankheiten bestimmt sind. In diesen Fällen ist es ausreichend, die Sicherheit der Produkte nachzuweisen.
Auch in Kanada hängt der Umfang der benötigten klinischen Daten von der Risikoklasse des Produkts ab. Die Risikoklassen reichen von I bis IV. Mit Ausnahme der Risikoklasse I ist für die Zulassung eines Medizinprodukts in Kanada eine Medical Device Licence (MDL) erforderlich. Es sollte beachtet werden, dass neben der MDL für die Vermarktung eines Medizinprodukts in Kanada auch eine Medical Device Establishment Licence (MDEL) erforderlich ist. Diese gilt für alle Unternehmen, die Medizinprodukte (unabhängig von der Risikoklasse) importieren, vertreiben oder herstellen.
Hersteller von Medizinprodukten der Klassen II, III oder IV müssen nachweisen, dass ihre Produkte den Anforderungen der kanadischen Medizinprodukteverordnung (CMDR SOR/98-282) entsprechen. Zu diesem Zweck müssen sie der für die Zulassung von Medizinprodukten zuständigen Behörde Health Canada die technische Dokumentation ihrer Produkte einschließlich der einschlägigen Nachweise für die Sicherheit und Wirksamkeit vorlegen. Die technische Dokumentation umfasst Nachweise über die Einhaltung internationaler Normen, das Risikomanagement und gegebenenfalls klinische Daten. Weiterhin muss der Hersteller über ein nach ISO 13485 zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem verfügen.
Besonders bei den höheren Risikoklassen (III und IV) werden umfangreiche klinische Nachweise für die Wirksamkeit der Produkte verlangt. Es wird erwartet, dass diese klinischen Daten die kanadische Bevölkerung repräsentieren. Wenn ein klinischer Bewertungsbericht eingereicht wird, unterliegt dieser der Veröffentlichungspflicht. Allgemein können Zulassungen von anderen Behörden zu einem wesentlich vereinfachten Marktzugang in Australien führen. So werden unter anderem Zertifikate von der EU, der FDA, des MDSAP (Medical Device Single Audit Program), aus Singapur, Malaysia und Indien bei der Bewertung berücksichtigt.
“As Class III and IV medical devices pose the highest level of risk, applica-tions for licensing must contain evidence of their clinical effectiveness. Such evidence includes clinical trials, clinical reviews, meta-analyses and real-world evidence reviews.“
Anforderungen an klinische Daten in Südamerika
In den meisten LATAM-Ländern müssen Medizinprodukte ein Registrierungsverfahren durchlaufen. Produkte werden im Allgemeinen in die Klassen I, II, III oder IV eingeteilt, wobei Produkte mit höherem Risiko strengeren Vorschriften unterliegen.
In Lateinamerika gilt Brasilien als der führende Markt für Medizinprodukte. Hier legt die Agência Nacional de Vigilância Sanitária (ANVISA) die Anforderungen an klinische Daten von Medizinprodukten fest. Ähnlich wie in Europa wird eine klinische Bewertung (Avaliação Clínica) gefordert. Je nach Risikoklasse und Innovationsgrad des Produkts müssen klinische Daten für das spezifische Produkt vorgelegt werden. Die ANVISA legt großen Wert auf die Dokumentation und Bewertung von unerwünschten Ereignissen sowie die Belege der Herstellerangaben. Wenn die bestehenden Daten diese Punkte nicht ausreichend adressieren, werden klinische Untersuchungen zur Verifizierung der Sicherheit und Leistung gefordert.
„Investigações clínicas de um dispositivo médico específico são obrigatórias quando os dados existentes, coletados pelo fabricante e documentados no relatório de avaliação clínica, não forem suficientes para abordar o perfil de risco-benefício, alegações e eventos adversos de forma a demonstrar o atendimento aos princípios de segurança e desempenho aplicáveis a este dispositivo médico específico.“
(übersetzt: „Die klinischen Untersuchungen eines spezifischen Medizinprodukts sind obligatorisch, wenn die vorhandenen Daten, die vom Hersteller gesammelt und im Bericht zur klinischen Bewertung dokumentiert wurden, nicht ausreichen, um das Risiko-Nutzen-Profil, die Behauptungen und unerwünschten Ereignisse zu adressieren und nachzuweisen, dass die Sicherheits- und Leistungsprinzipien, die für dieses spezifische Medizinprodukt gelten, erfüllt sind“)
RDC Nº 848/2024, Art. 18
Weitere südamerikanische Länder wie Argentinien, Kolumbien und Chile haben ebenfalls eigene regulatorische Systeme, die jedoch tendenziell den brasilianischen Vorgaben ähneln. In einigen Fällen wird die ANVISA-Zulassung, auch von anderen nationalen Behörden akzeptiert, was den Marktzugang erleichtert. Einige LATAM-Länder arbeiten an der Harmonisierung ihrer Vorschriften für Medizinprodukte, um sie an internationale Standards anzupassen. So ist unter anderem die Panamerikanische Gesundheitsorganisation (PAHO) an Initiativen zur Harmonisierung der Regularien beteiligt.
Anforderungen an klinische Daten in Australian
In Australien ist die Therapeutic Goods Administration (TGA) die zuständige Behörde für die Regulierung von Medizinprodukten. In vielen Bereichen überschneiden sich die regulatorischen Anforderungen zwischen der EU und Australien. Beispielweise sind die Risikoklassifizierung und die Anforderungen an die klinische Bewertung sehr ähnlich. In dem Dokument „Clinical evidence guidelines for medical devices“ der TGA wird sogar mehrfach auf die MEDDEV 2.7/1 Rev 4 verwiesen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Miteinreichung der Rückmeldung einer Benannten Stelle der EU den Zulassungsprozess in Australien beschleunigen kann.
„When available, the clinical assessment report from a European Union notified body may aid timely clinical review of the submission.“
Clinical evidence guidelines for medical devices V3.2, Section The Clinical Evalutation Report (CER)
Allgemein können Zulassungen von anderen Behörden zu einem wesentlich vereinfachten Marktzugang in Australien führen. So werden beispielsweise Zertifikate von der EU, der FDA, des MDSAP (Medical Device Single Audit Program), aus Singapur, Malaysia und Indien bei der Bewertung berücksichtigt.
Anforderungen an klinische Daten in Asien
In Asien ist der regulatorische Ansatz zur klinischen Bewertung von Medizinprodukten stark fragmentiert. Länder wie Japan, China, Indien und Südkorea haben ihre eigenen Anforderungen, obwohl zunehmend Bestrebungen zur Harmonisierung erkennbar sind.
Japan, als einer der größten Märkte für Medizinprodukte in Asien, wird durch die Pharmaceuticals and Medical Devices Agency (PMDA) reguliert. Die Anforderungen an die klinische Bewertung sind hier ähnlich wie in der EU. Unter Umständen werden auch Daten aus klinischen Studien aus anderen Ländern akzeptiert (abhängig von Risikoklasse und Innovation). Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Qualität und Relevanz der vorgelegten klinischen Daten. Lokale klinische Studien sind dann notwendig, wenn hinreichende klinische Daten nicht vorhanden sind.
China hingegen verfolgt einen strengeren Ansatz, insbesondere für innovative Medizinprodukte. Die National Medical Products Administration (NMPA) verlangt in vielen Fällen lokale klinische Studien, es sei denn, der Hersteller kann eindeutig nachweisen, dass internationale Daten auf die chinesische Bevölkerung übertragbar sind. Klasse I Produkte benötigen möglicherweise keine klinischen Studien und keinen vollständigen klinischen Bewertungsbericht. Eine grundlegende klinische Beschreibung ist ausreichend. Klasse II und III benötigen klinische Studien (außer sie stehen im Ausnahme-Katalog oder ein vergleichbares Produkt ist auf dem chinesischen Markt zugelassen). Medizinprodukte aus dem Ausnahmekatalog oder mit Vergleichsprodukt in China benötigen eine einfache klinische Bewertung mit einem Basisvergleich mit dem entsprechenden Inhalt des Katalogs oder mit dem Vergleichsprodukt.
In Indien ist die Central Drugs Standard Control Organization (CDSCO) für die Zulassung von Medizinprodukten zuständig. Medizinprodukte werden in Indien in vier Risikokategorien eingeteilt: A, B, C und D. Die Zulassung in der EU, USA, Australien, Kanada oder Japan und ein gleichwertiges Produkt auf dem indischen Markt erleichtern die Zulassung. In der Regel wird eine klinische Bewertung basierend auf nationalen und internationalen Daten verlangt. Medizinprodukte, die aufgrund der Wirkungsweise, der Materialien oder des Verwendungszwecks neu auf dem indischen Markt sind, unterliegen zusätzlichen Anforderungen an die klinische Überprüfung, einschließlich des Nachweises der Sicherheit und Wirksamkeit durch klinische Untersuchungen in Indien. Diese zusätzlichen Anforderungen werden bei einem Subject Expert Committee (SEC) festgelegt. Indien bewegt sich jedoch zunehmend in Richtung internationaler Harmonisierung, was die Akzeptanz ausländischer Daten erleichtern könnte.
Andere asiatische Länder, wie Südkorea, Singapur und Malaysia, zeigen eine stärkere Orientierung an internationalen Standards. Besonders Singapur hat sich durch seine Angleichung an die EU- und US-Standards als attraktiver Standort für die Einführung von Medizinprodukten etabliert. Länder, die Mitglieder der ASEAN Medical Device Directive (AMDD) sind, streben eine schrittweise Harmonisierung ihrer regulatorischen Rahmenwerke an.
Anforderungen an klinischen Daten in Afrika
In Afrika sind die regulatorischen Systeme für Medizinprodukte noch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während einige Länder – wie Südafrika und Nigeria – über ausgereifte Regulierungsstrukturen verfügen, befinden sich viele Staaten noch im Aufbau von entsprechenden Prozessen. Die zeigt sich auch in der Statistik der WHO.
In Südafrika ist die South African Health Products Regulatory Authority (SAHPRA) für die Regulierung von Medizinprodukten zuständig. Die Anforderungen an die klinische Bewertung orientieren sich zunehmend an internationalen Standards, insbesondere den Richtlinien der WHO. Der Umfang der klinischen Bewertung hängt von der Klassifizierung, der Verwendung und der Innovation des Medizinproduktes ab. Der kürzliche Beitritt von Südafrika in das MDSAP als Affiliate Member zeigt die Bestrebung nach regulatorischer Harmonisierung.
In anderen afrikanischen Ländern fehlt es oft an klar definierten Prozessen für die Zulassung von Medizinprodukten. Dies hat zu Initiativen geführt, die eine Harmonisierung und Stärkung der regulatorischen Systeme fördern sollen. Ein Beispiel dafür ist die African Medicines Regulatory Harmonization (AMRH) oder das Africa Medical Device Forum (AMDF), die darauf abzielen, die Regulierung von Arzneimitteln und Medizinprodukten auf dem gesamten Kontinent zu vereinheitlichen und zu verbessern.
„The objective of the African Medicines Regulatory Harmonization (AMRH) is to ensure that African people have access to essential medical products and technologies.“
nepad.org, African Medicines Regulatory Harmonisation (AMRH)
Zusätzlich wird in einigen Regionen Afrikas mit sogenannten „Reliance Models“ gearbeitet, bei denen Zulassungsentscheidungen auf Basis der Bewertungen anderer etablierten Regulierungsbehörden getroffen werden.
Afrika steht also noch vor großen Herausforderungen, was die Entwicklung einheitlicher Standards betrifft. Dennoch sind die Bestrebungen zur Harmonisierung in vollem Gange, was auf lange Sicht den Zugang zu sicheren und wirksamen Medizinprodukten auf dem Kontinent erleichtern dürfte.
Internationale Harmonisierung
Angesichts der vielen unterschiedlichen Regulierungen gibt es verschiedene internationale Bemühungen zur Angleichung. Es sollen globale Standards etabliert werden, um die Komplexität der Zulassungsprozesse zu reduzieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei das International Medical Device Regulators Forum (IMDRF), das sich für weltweit harmonisierte Standards einsetzt. Mitgliedstaaten aus Nord- und Südamerika, Australien, Asien sowie der Europäischen Union sind vertreten. Die „Affiliate Member“ umfassen auch Staaten aus Afrika.
Das MDSAP setzt die internationale Harmonisierung schon teilweise in die Tat um. Das Programm ermöglicht es, ein einziges Audit durchzuführen, das die wesentlichen Anforderungen der fünf Mitgliedsstaaten – Australien, Brasilien, Kanada, Japan und die USA – abdeckt. Obwohl die Mitgliedsstaaten das Audit grundsätzlich akzeptieren, bestehen in jedem Land spezifische Limitationen, die berücksichtigt werden müssen.
Auch gibt es weitere regionale Zusammenschlüsse. Beispielsweise stellt die AMDD (ASEAN Medical Device Directive) eine Richtlinie, auf deren Basis verschiedene Mitgliedstaaten aus Südostasien ihre nationalen Vorschriften umsetzen. Die GCC Medical Device Regulation harmonisiert Vorschriften in den Golfstaaten und MERCOSUR setzt Maßstäbe in Südamerika. Die Asian Harmonization Working Party bestand anfangs ausschließlich aus Mitgliedern aus asiatischen Ländern. Ihr Ziel war es, die Harmonisierung der Medizinprodukte-Regulierung innerhalb Asiens zu fördern. Im Laufe der Zeit öffnete sich die Organisation für Länder außerhalb Asiens, darunter Staaten aus dem Nahen Osten, Afrika und Südamerika und benannte sich in die Global Harmonization Working Party (GHWP) um, um die breitere Mitgliedschaft und globale Ausrichtung zu verdeutlichen.
Es zeigt sich, dass bereits einige Parallelen in den Zulassungsanforderungen für Medizinprodukte in verschiedenen Ländern existieren. Diese Gemeinsamkeiten können die Bestrebun-gen nach globalen Standards erleichtern. Dies würde die Zulassungsprozesse weltweit ver-einheitlichen und vereinfachen.